Vom Weltklimabericht zum Handeln: Prof. Dr. Sonia Seneviratne im Gespräch

Der Klimawandel verlangt mehr denn je entschiedenes Handeln – warum, macht Prof. Dr. Sonia Seneviratne im Gespräch deutlich. Als Klimawissenschafterin und Leadautorin des Weltklimaberichts ist sie am Puls der Forschung und fordert Wirtschaft und Politik zu engagiertem Handeln auf.

 

Hitze, Stürme, Fluten – man hat das Gefühl, das Wetter spielt verrückt. Täuscht der Eindruck?

Nein. Wir erleben tatsächlich Ereignisse, die ausserhalb der historischen Beobachtungen liegen, insbesondere in dem Fall von Hitzewellen, Starkniederschlägen, und Trockenheitsereignissen. Aber das sollte uns eigentlich nicht erstaunen. Es ist heute eindeutig wissenschaftlich erwiesen: Mit zunehmender globaler Erderwärmung werden auch Extremereignisse immer heftiger. Mit der heutigen Temperaturerhöhung von etwas über 1.1°C finden zum Beispiel Hitzeereignisse, die früher im Durchschnitt einmal pro 10 Jahre stattfanden, jetzt rund dreimal häufiger statt. Auch Starkniederschläge, die zu Überflutungen führen können, wie wir sie im Sommer 2021 in Deutschland gesehen haben, werden mit zunehmender globaler Erwärmung wahrscheinlicher. Steigt die globale Temperatur auf 2°C müssten wir in den meisten Sommern mit Hitzewellen, Starkniederschläge oder Dürren rechnen.

Betrifft das die ganze Welt oder sind einzelne Regionen besonders betroffen?

Wir erwarten eine Zunahme von Extremereignissen auf der ganzen Welt. Zentral- und Westeuropa, zu dem auch die Schweiz gehört wird im Übrigen von besonders vielen Arten von Klimaextremen betroffen sein.

Wie ist dieser Effekt zu erklären?

Die Zunahme an Treibhausgasen in der Atmosphäre führt dazu, dass sich mehr Energie im Klimasystem akkumuliert. Es kommt deshalb zu heftigeren Ereignissen. Ausserdem wird der Wasserkreislauf angekurbelt: Die warme Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen: Dies kann lokal wegen höherer Verdunstung zu einer verstärkten Austrocknung von Böden und Gewässer führen; gleichzeitig führt der gleiche Mechanismus dazu, dass die Niederschlagsintensität steigt. Übrigens: Die globale Erwärmung ist nur ein Mittelwert über die ganze Erde. Die Erwärmung in vielen Regionen ist deutlich höher. In der Schweiz haben wir bereits mehr als 2°C regionale Erwärmung.

Der einzige Weg aus dieser Situation sind schnelle Reduktionen der Emissionen?

Ja, daran führt nichts vorbei. Wir müssen die CO2-Emissionen bis 2030 halbieren, um eine Chance zu behalten, die globale Erwärmung auf zirka 1.5°C zu stabilisieren.

Nun hat die Pandemie kurzfristig die Emissionen reduziert. Gibt dies eine Atempause?

Die Reduktion der Emissionen aufgrund der Pandemie, zirka 6% in 2020, hat praktisch keinen langfristigen Einfluss. Einerseits sind die Emissionen 2021 ja bereits wieder angestiegen, andererseits ist der Ausstoss eines Jahres gar nicht entscheidend.

Wie muss man das verstehen?

Was viele nicht wissen: Die Atmosphäre verhält sich bezüglich CO2 fast wie eine Deponie. Das CO2, das wir in der Atmosphäre «deponieren», bleibt dort und akkumuliert sich. Selbst wenn wir also heute sofort damit aufhören würden, CO2-Emissionen auszustossen, würde die aktuelle Temperaturerhöhung über längere Zeit unverändert bleiben. Ein Emissionsrückgang von 6% wie im Jahr 2020 führt nur zu einer Verschiebung der Erwärmung um weniger als ein Monat.

Was heisst das konkret?

Die Klimamodelle zeigen, dass wir Stand Anfang 2020 nur noch rund 400 Gigatonnen CO2 in die Atmosphäre einbringen konnten, wenn wir die Temperaturerhöhung mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln unter 1.5° erhalten wollen.

Ist das viel?

Nein, da ist nicht mehr sehr viel Platz in der Atmosphäre. Bei den aktuellen Emissionen würden diese 400 Gigatonnen innerhalb von zehn Jahren in der Atmosphäre eingebracht. Wir haben bereits zwei Jahre verloren. Der dritte Teil des neuesten Berichts des Weltklimarats zeigt, dass die Emissionen spätestens 2025 das Maximum erreicht haben, wenn wir noch eine Chance für das 1.5°C-Limit behalten wollen. Und wir müssen die CO2-Emissionen jedes Jahr ab jetzt um rund 7% senken. Davon sind wir weit entfernt!

Heisst das ist eigentlich schon zu spät?

Nun, um das 1.5° Ziel einzuhalten, müssen wir wirklich sofort dramatische Schritte einleiten. Und jedes Zehntelgrad Temperaturanstieg, welches wir vermeiden können, ist wichtig. Es gilt jetzt aktiv zu werden.

Ist uns das schon bewusst genug?

Ehrlich gesagt, ich glaube nicht. Klar werden da und dort Emissionen reduziert, aber es geht viel zu langsam. Ich bin überzeugt: Die Schweiz könnte ein Vorbild sein und es wäre für uns von grossem Vorteil, bei den Vorreitern dabei zu sein. Aber es gibt trotzdem positive Zeichen: Beispielsweise die neuen kantonalen Gesetze in Glarus und Zürich, die es verbieten, alte durch neue fossile Heizungen zu ersetzen.

Was erwarten Sie von einem Wirtschaftsverband wie swisscleantech?

Ein Verband, der sich für eine klimataugliche Wirtschaft einsetzt, muss eindeutig für einen beschleunigten Reduktionspfad einstehen. Machen Sie Ihre Stimme in der Politik geltend und setzen Sie sich für ambitionierte Ziele und strenge Massnahmen ein! Und natürlich gilt für die einzelnen Unternehmen genauso: Alle Massnahmen in Gang zu setzen, die möglich sind.

Frau Seneviratne, besten Dank für das Gespräch.

 

Ein Beitrag aus dem Jahresbericht
Zum Jahresbericht 2021