Analyse und Lehren aus der Abstimmungsniederlage


Für die Schweizer Klimapolitik ist die Annahme des Referendums ein empfindlicher Tiefschlag. Anstelle eines austarierten, wenn auch nicht optimalen Gesetzes, welches eine gute Grundlage für die weitere Arbeit dargestellt hätte, herrscht nun klimapolitische Ratlosigkeit. Empfehlungen für kommende Schritte müssen auf einer Einordnung des Resultates basieren. Hier ein Versuch dazu.

Dass die Abstimmung zum CO2-Gesetz trotz eines weitgehenden Bekenntnisses der Bevölkerung zu Klimaschutz mit 51.3% NEIN-Stimmen endete, ist für swisscleantech Anlass, sich weiter mit der Abstimmung auseinanderzusetzen.
Was als politisch breit akzeptierte Vorlage des Bundesrates begann, wurde relativ unerwartet zu einer Abstimmung über Weltsichten. Obwohl keine der Parteien den Klimawandel leugneten, prallten drei fundamental unterschiedliche Interpretationen des Umgangs mit der Klimaerwärmung aufeinander.

Die Welt-Sicht
Auf der Seite der Befürworter herrscht eine Welt-Perspektive vor. Sie verstehen die Schweiz als wichtigen Player innerhalb von weltweiten Bemühungen um Klimaschutz. Die Abstimmung in der Schweiz wurde als erste Volksabstimmung über den Klimaschutz überhaupt und als Signal für andere Länder betrachtet. Die Welt soll sehen, dass die Schweiz ihren Beitrag zur Bekämpfung der Klimaerwärmung leisten will und in bescheidenem Masse bereit ist, als Vorreiter zu agieren.

Die Schweiz-Sicht
Das Nein-Lager teilte sich auf in zwei Fraktionen, deren Argumente sich zum Teil überlagerten. Insbesondere die SVP vertrat wie in anderen Politikbereichen eine prononcierte Schweiz-Sicht. In dieser Wahrnehmung ist die Schweiz sehr klein und ein einsamer Vorreiter in einer Welt, die sich kaum um den Klimawandel schert. «Warum sollten wir etwas für das Klima tun, wenn die ganze Welt nichts tut», war ein oft vernommenes Argument. Klimaschutz in der Schweiz erscheint in dieser Perspektive als eine nutzlose Investition gegen eine Katastrophe, die sich nicht abwenden lässt oder die vielleicht auch nicht so schlimm ist, wie das die Wissenschaft behauptet.

Die ordnungspolitische Sicht
In der FDP läuft eine heftige Debatte darüber, ob und wie sich die Schweiz für mehr Klimaschutz engagieren sollte oder nicht. Auch wenn einzelne Vertreter der FDP die Schweiz-Sicht einzunehmen scheinen, entzündet sich die Diskussion innerhalb der FDP eher an der Frage, inwiefern das CO2-Gesetz ein unerlaubter ordnungspolitischer Eingriff des Staates war. Wirtschaftspolitische und staatskritische Kreise in der FDP sind der Meinung, dass Staatseingriffe grundsätzlich schlecht sind und der Markt möglichst frei spielen sollte. Das Festlegen von Preisen für Umweltgüter ist für diese neoliberale Denkschule ein Sündenfall. Für andere, ordnungspolitisch weniger strikt eingestellte Vertreter der FDP sind Preise zur Lenkung zwar akzeptabel, doch sie betrachten es als inakzeptabel, dass Teile der Einnahmen für Teilzweckbindung verwendet werden, deren Verwaltung der Staat übernimmt. Diese Gruppe von Personen bezog ihre Abneigung insbesondere aus der Idee, einen Klimafonds zu schaffen, der durch eine Flugticketabgabe mit jährlichen Einnahmen von rund 1 Mia CHF gespiesen werden sollte und dessen Verwendung nicht besonders präzise formuliert ist.

Im Zentrum der Diskussion stand – wie meist in der Schweiz – die Kostenfrage. Doch was unter Kosten verstanden wurde, war unterschiedlich. Beide Seiten operierten mit Zahlen, die zwar die Ausgaben von Haushalten im Einzelfall richtig darstellten, jedoch für die Allgemeinheit wenig fassbar waren. Die Kosten der Klimaerwärmung für die Schweiz wurden gänzlich ausgeklammert.

Die Kostenfrage
Die Frage «was bedeutet die CO2-Abgabe für mich persönlich» wurde wohl von den meisten nicht umfassend geklärt, obwohl Angebote (beispielsweise der Rechner der jungen Grünliberalen Partei) vorhanden waren. Bei unsicherer Datenlage erhalten Befürchtungen meist zusätzlich Gewicht.
Aus der Kosten-Perspektive heraus ist wohl die überdurchschnittliche Ablehnung des Gesetzes durch die Generation der unter 30-jährigen zu verstehen. Vermutlich gewichteten die Jungen nach einem Jahr Pandemie-bedingter Reiseabstinenz die Flugticketabgabe stark.

Eine Frage der Emotionen
Wichtig für das Verständnis des Abstimmungsresultates ist auch die emotionale Situation der Gesellschaft und die emotionale Ansprache durch die Kampagnen.
Die Prokampagne war von Anfang an mit einem fundamentalen Argumentationsproblem konfrontiert: Aus der Schweiz-Perspektive ist die Argumentation «Klimaschutz ist teuer – die Schweiz ist klein – niemand tut etwas – deshalb sind die Kosten unnütz» absolut stringent.
Aus der Sicht der Weltperspektive ist Klimaschutz in der Schweiz ein Beitrag zur Lösung der Klimakrise und erhöht so die Chance auf erfolgreichen Klimaschutz. Dieses Argument hat jedoch aus der Schweiz-Perspektive keine Bedeutung.

Die zweite Möglichkeit der Prokampagne war es, nachzuweisen, dass Klimaschutz insgesamt wirtschaftlich ist. Diese Aussage machte das Pro-Lager zwar zum Claim, doch dieser konnte nur über sehr umfangreiche Zahlenschlachten mit vielen Annahmen bewiesen werden. Die Gegner argumentierten hingegen sehr plakativ mit zum Teil falschen Kostenargumenten. Es bestand also ein Ungleichgewicht der Emotionalität.

Konfrontiert mit unbelegten Zahlen von beiden Seiten, besteht die Gefahr, dass die Verlustangst bei vielen Stimmbürgern ein grösseres Gewicht erhält als die Versprechungen einer lichten Zukunft. Erschwert wurde diese Situation zusätzlich, indem kurzfristige, zum Teil scheinbare Kosten den langfristigen Kosten des Klimawandels gegenübergestellt wurden. Menschen tendieren in solchen Situationen dazu, die langfristigen Kosten als deutlich weniger bedeutend einzustufen, als die kurzfristigen Kosten (Man spricht von einer Diskontierung).

Ebenfalls nicht geholfen hat der Abstimmung, dass das Gesetzespaket sehr umfangreich und fein austariert war.  Man konnte es nur als Kompromiss verkaufen. Kompromisse jedoch sind für Emotionalisierung selten geeignet.
Aufgrund dieser Situation war es für die Gegner einfach, zu emotionalisieren, während die Prokampagne die Emotionalisierung über abstrakte Bilder zu erreichen versuchte – was freilich nicht gelingen kann. Andere Bilder zu finden, ist zugegebenermassen nicht einfach. Drastische Bilder von beispielsweise Waldbränden hätten vielleicht mobilisiert, aber auch die skeptische Mitte eher ins Nein Lager getrieben.

Diese Ausgangslage des Abstimmungskampfes wurde in den Anfangsphasen der Kampagne möglicherweise zu wenig analysiert und besprochen. Generell ging die Kampagnenleitung davon aus, dass man eine Behördenvorlage mit einer unaufgeregten Kampagne verteidigen sollte. Deshalb wurde auf wenig emotionalisierende Sujets gesetzt und versucht, die emotionale Spannung zu reduzieren. Diese Rechnung ging nicht auf.

Schlechtes Timing
Erschwerend war für die Kampagne ausserdem das schlechte Timing der Abstimmung. Verschiedene Aspekte führten dazu, dass die Mobilisierung bei den Gegner*innen deutlich besser lief als bei den Befürworter*innen. Durch die Coronakrise wurde sehr viel klimapolitische Dynamik im Keim erstickt. Die Herausforderung der Pandemie für die Wirtschaft und die Unsicherheiten vieler Menschen in Bezug auf ihre finanzielle Lage zogen die Aufmerksamkeit von der Klimapolitik ab und liessen kurzfristige zusätzliche Kosten als Bedrohung erscheinen. Dass der Frühling ausgesprochen feucht und kalt ausfiel, half der Vorlage ebenfalls nicht. Es ist verständlich, dass viele Menschen die Bedrohung einer Klimakrise bei kaltem und nassem Wetter weniger wahrnehmen, als bei heissem und trockenen Wetter.

Es war ein Fehler, drei umweltnahe Abstimmungen auf das gleiche Datum zu legen. Die Dynamik, die sich einstellte, drehte sich gegen das CO2-Gesetz. Da das Hauptargument gegen die beiden Landwirtschaftsinitiativen ebenfalls die Kosten waren und die Bauern sehr stark gegen die beiden Initiativen mobilisierten, riss das Nein zu den Initiativen das CO2-Gesetz mit. Es ist nachvollziehbar, dreimal für tiefe Kosten zu stimmen. Zwischen den drei Abstimmungsvorlagen zu unterscheiden, brauchte einiges an Wille und Fähigkeit zur politischen Differenziertheit.

Die Lehren für kommende Abstimmungen
Das CO2-Gesetz teilt das Schicksal anderer grossen Behördenvorlagen. Grosse Würfe wie beispielsweise die AHV- und Rentenreform kommen seit Jahren nicht vom Fleck. Man muss daher die Frage stellen, inwiefern grosse politische Würfe überhaupt mehrheitsfähig sind. Gerade bei Herausforderungen, bei denen die Zeit drängt, muss überlegt werden, ob es sinnvoll ist, ein grosses Paket zu schnüren, das viele Partialfeinde haben kann.

Effektiv haben wir mit dem bestehenden CO2-Gesetz eine relativ verlässliche Grundlage, die man auch schrittweise hätte modifizieren können. Für die kommende Entwicklung der Schweizer Klimapolitik scheint dies ein sinnvoller Weg zu sein.

Es zeichnen sich jedoch bereits neue grosse Abstimmungen am Horizont ab: In voraussichtlich zwei Jahren wird über die Gletscherinitiative abgestimmt. Deshalb lohnt es sich, zwei Lehren aus der verlorenen Abstimmung zu ziehen:

  1. Die Kostendiskussion ist unvermeidbar, weil die Gegner sie auf jeden Fall führen wollen. Erfolgversprechend kann es sein, das Kostenargument proaktiv zu klären, so dass man während der Kampagne einen verlässlichen Referenzpunkt hat. Beispielsweise wäre es sinnvoll gewesen, vertrauenswürdige Studien zu den Kosten bereits in der Vorphase der Kampagne zu veröffentlichen. Bei gegebenen Ressourcen wäre dies durchaus möglich gewesen.
  2. Idealerweise wird darauf verzichtet, mehrere Kampagnen zu starten oder es wird bewusst darauf geachtet, dass die Kampagnen besser aufeinander abgestimmt sind. Sehr frühzeitig muss mit Fokusgruppen und Analysen untersucht werden, welche Argumente die Stimmbevölkerung für den Klimaschutz motivieren. Auch hier wurde in der vergangenen Kampagne vom Lager der Befürworter zu wenig investiert.